Medienkompetenz, digitale Kompetenzen und Kompetenzen im digitalen Zeitalter

Was meinen wir im digitalen Zeitalter mit Medienkompetenz? Was verstehen wir unter Digitalisierung und welche digitalen Kompetenzen leiten wir daraus ab? An welchen Kompetenzen und Grundwerten soll man sich orientieren, um jüngere Generationen im digitalen Zeitalter zu bilden und auszubilden? Dieser Beitrag verschafft einen Überblick über die Debatte. Dabei steht auch der Brückenschlag zwischen Wissenschaft und Praxis im Fokus.

Sarah Genner, Ph.D.
22 min readFeb 22, 2021

Was verstehen wir unter Medien- und Digitalkompetenz?

Lange war einigermassen klar, was wir mit «Medien» meinten: Massenmedien wie TV, Radio, Zeitung. Bei einer grosszügigen Auslegung waren es noch Buch, Schallplatte und Brief. Im Prinzip war eine genauere Definition aber schon länger notwendig. So hat der kanadische Medientheoretiker Marshall McLuhan eine noch grosszügigere Auslegung des Medienbegriffs vertreten. Für McLuhan waren nicht nur Massenmedien und interpersonale Kommunikation Medien, sondern auch Geld, Kleidung, Strassen und andere «Verlängerungen des Menschen» (McLuhan, 1964). Der deutsche Medientheoretiker Friedrich Kittler lehnte McLuhans Lesart von Medien ab. Kittlers Ansatz ging von technischen Medien aus, genauer von «Aufschreibesystemen». Dabei verfolgte Kittler eine Art Technikdeterminismus. Er beschrieb, der Mensch sei bestimmt von all jenen Techniken und Systemen, die einer Epoche und Kultur zur Speicherung, Verbreitung und Verarbeitung von Informationen zur Verfügung stehen (Winthrop-Young, 2005).

In der Alltagskommunikation lassen sich «Medien» oft mit Informations- und Kommunikationsmitteln gleichsetzten oder als Kurzform von Massenmedien (journalistische Organisationen, die sich an eine breite Öffentlichkeit wenden). Im Bildungskontext wird unter Medienbildung auch oft ICT-Bildung verstanden (ICT = information and communication technologies). Gemeint ist damit in der Regel ein technisch kompetenter Umgang mit Bildschirmmedien.

So richtig komplex wurde es mit dem Medienbegriff durch die Popularisierung des World Wide Web ab 1990 und ab den Nuller-Jahren durch das mobile Internet sowie das Internet der Dinge. In der Medien- und Kommunikationswissenschaft haben wir das Internet seit Jahrzehnten als Medium verstanden. Aber verstehen wir auch alles, was ans Internet angeschlossen ist, als Medium? Smartphones, Apps, E-Mail, Home Assistants, vernetzte Autos, webfähige Barbies? Wo beginnt ein digitales Medium und ab wann sind es nur noch digitale Daten ohne Medien?

Wir haben es mit einem unklaren Medienbegriff zu tun. Oft ist dennoch die Rede von «Medienkompetenz» und «Media Literacy» als sei klar, was es damit auf sich hat. Im akademischen Setting erinnern wir uns vielleicht an die einflussreiche Definition des deutschen Medienpädagogen Dieter Baacke. Er unterteilte Medienkompetenz in vier Teilbereiche (Tabelle 1).

Tabelle 1: Operationalisierung von Medienkompetenz (Baacke, 1997)

Eine verwandte Herangehensweise verfolgte der Zürcher Medienpädagoge Daniel Ammann im «Dossier Medienkompetenz» (Ammann, 2009) für die schulische Medienbildung, indem Medienkompetenz in Medienwissen, Mediennutzung und Medienreflexion aufgeteilt wird (Abbildung 1). Dieses Modell wird auch in aktuellen Weiterbildungskursen für Lehrpersonen der Volksschule verwendet.

Abbildung 1: Medienkompetenzmodell Schulamt Stadt Zürich (Ammann, 2009)

Im Zuge der Medienkonvergenz und der fortschreitenden Digitalisierung vermischen sich die Begriffe Medien- und Digitalkompetenz zunehmend. Es stellt sich auch die Frage, ob nicht ohnehin beide Begriffe besser im Plural verwendet werden: Medienkompetenzen und Digitalkompetenzen. Nicht nur «Medien» ist ein unklarer Begriff, dasselbe Schicksal teilt der Begriff «Digitalisierung». Die einen meinen damit die Übertragung von analogen Informationen auf einen digitalen Datenträger, für andere bedeutet er papierlose Arbeitsprozesse, neue Geschäftsmodelle, Social Media, Big Data und künstliche Intelligenz, um nur wenige Aspekte aufzuzählen. Wenn nicht klar ist, was mit Digitalisierung gemeint ist, fragt sich, was wir unter digitalen Kompetenzen verstehen. Dies führt auch zu einem Fachstreit zwischen Vertreterinnen und Vertretern der Medienwissenschaft und der Informatik über die fachliche Hoheit über «Medien und Informatik» in der Volksschule. So beklagte der deutsche Medienpädagoge Ralf Vollbrecht bereits vor 20 Jahren, dass gerade im schulischen Umfeld Medienkompetenz vielfach zu eng und zu technologisch auf Medien bezogen werde, z. B. als informationstechnologische Grundbildung (Vollbrecht, 2001). Seit Jahren befürchtet hingegen der Schweizer ETH-Informatikprofessor Juraj Hromkovič, dass die schulische Bildung im Bereich Medien und Informatik stark zu Ungunsten der Informatik ausfalle und spricht von einer «Zwangsehe» der beiden Fächer (z. B. Olff, 2018). Auch der Think Tank Avenir Suisse doppelt mit Verweis auf den Wirtschaftsstandort Schweiz nach:

«Digitale Bildung ist mehr als Medienkompetenz. Informatik findet in den Lehrplänen zu wenig Beachtung.» (Ammann, 2019)

Eine salomonische Lösung wurde vom Informatikpädagogen Beat Döbeli im Rahmen der Dagstuhl-Erklärung festgehalten, indem er die Begriffe Medien und Informatik ganz entfernt hat. Um den unproduktiven Grabenkampf zwischen Deutungshoheiten zu beenden, zeigt das «Dagstuhl-Dreieck» drei Perspektiven auf digitale Medien für den Bildungskontext auf (Abbildung 2).

Abbildung 2: Dagstuhl-Dreieck: Digitale Medien und Bildung (Döbeli, 2016)

Vor wenigen Jahren wurde in der Deutschschweizer Volksschule der Lehrplan 21 eingeführt. Medien und Informatik erhalten darin eine deutlich höhere Verbindlichkeit als bisher. Der neue Modullehrplan Medien und Informatik unterscheidet die Kompetenzbereiche Medien und Informatik sowie die Anwendungskompetenzen (Abbildung 3).

Abbildung 3: Medien, Informatik und Anwendungskompetenzen im Lehrplan 21 (D-EDK, 2016)

Gemäss Lehrplan sind die drei Bereiche Medien, Informatik und Anwendungskompetenzen nicht trennscharf. So setze beispielsweise eine effiziente Internetrecherche sowohl Kenntnisse über die Funktionsweise von Suchmaschinen (Informatik) als auch Hintergründe zu Geschäftsmodellen und Zensurmassnahmen von Suchmaschinen (Medien) voraus, als auch konkretes Wissen zur Bedienung derzeit aktueller Suchmaschinen (Anwendung) (D-EDK, 2016).

Die Anwendungskompetenzen werden mehrheitlich überfachlich vermittelt und in drei Themenbereiche unterteilt:

  • Handhabung: Bedienung, Sicherheit, Tastaturschreiben, Arbeitsorganisation (Kontakte, Termine, Aufgaben verwalten)
  • Recherche und Lernunterstützung: Quellen fürs Lernen, Webrecherche, Lernunterstützung
  • Produktion und Präsentation: Text, Bild, Video, Audio, Präsentation, Kommunizieren / Kooperieren / Publizieren, Daten erfassen / visualisieren

In den Bereichen Medien und Informatik stehen folgende Themen im Fokus:

  • Medien: nutzen, reflektieren, Herausforderungen der Digitalisierung diskutieren, über Emotionen bei der Mediennutzung sprechen, Werbewirkung wie Schönheitsideale reflektieren, Cybermobbing verhindern, Werbung erkennen, Rechtliches beachten (Datenschutz, Urheberrecht, Persönlichkeitsrecht)
  • Informatik: Daten mittels selbst entwickelter Geheimschriften verschlüsseln, formelle Anleitungen erkennen und ausführen (zunächst Kochrezepte, dann für einfache informatische Problemstellungen), Abläufe mit Schleifen und Abzweigungen erkennen, beschreiben und strukturiert darstellen, Aufbau und Funktionsweisen verstehen von Informationsverarbeitungssystemen, verschiedene Speicherarten kennen und Grösseneinheiten für Daten kennen.

Obwohl der Lehrplan 21 definiert, welche Kompetenzen schulisch zu erwerben sind, braucht es Angebote wie dreimaldrei.ch. Auf dieser Website werden die im Lehrplan festgehaltenen Medien- und Informatik-Lernziele für Lehrpersonen der Volksschule weiter konkretisiert. Dabei wird gezeigt, welche Kompetenzen auch integriert in andere Schulfächer in welcher Klasse vertieft werden können (Tabelle 2).

Tabelle 2: Aus dem Kompetenzraster zum Lehrplan 21: Medien und Informatik (Staub, Kern und Schranz, 2019)

In der Praxis mit Jugendlichen im Umgang mit digitalen Medien zeigt sich deren grosse Herausforderung, die Quelle einer Information richtig einzuschätzen und zu beurteilen, ob es sich um Falschinformationen handelt (Wineburg et al. 2016). Vielen Jugendlichen fällt es schwer, zu hinterfragen, wer welchen Inhalt wo und mit welcher Absicht veröffentlicht hat. Dafür braucht es Hintergrundwissen zu Themen wie politischer Propaganda und strategischem Marketing (mittels Publireportagen, Native Advertising, Content Marketing etc.). Vielen dürfte auch nicht klar sein, dass Newsfeeds in Sozialen Medien algorithmisch kuratiert sind und wie das Geschäftsmodell dieser Firmen funktioniert. Zum anderen fehlt es bei Jugendlichen oft an der Einsicht, wie stark der ständige Online-Zugang an ihrer Konzentrationsfähigkeit nagt.

An Elternabenden zum Thema Medienerziehung ist auffallend, dass Eltern, die selbst nicht mit Smartphones und Tablets aufgewachsen sind, stark verunsichert sind und jungen Menschen oft automatisch eine hohe Medienkompetenz zuschreiben. Dies hat auch mit den undifferenzierten Debatten zu tun, die zu Digital Natives und Digital Immigrants geführt werden (Bennett et al. 2008). Da wird oft ein unbekümmerter Umgang mit digitalen Medien mit einer souveränen Nutzung verwechselt. Als hilfreich hat sich für Elternabende eine stark vereinfachte Unterteilung des Medienkompetenz-Begriffs erwiesen: technische Nutzungskompetenz und verantwortungsvoller Medienumgang (Abbildung 4).

Abbildung 4: Medienkompetenz im Vortrag «Surfen, Gamen, Chatten» für Elternabende (Genner, 2018)

Ziel dieser Vereinfachung ist ein Empowerment von Eltern im Sinne von: «Sie sind in vieler Hinsicht medienkompetenter als Ihre Kinder, denn Sie sind erwachsen und haben ein ausgereiftes Verantwortungsbewusstsein. Sie müssen Tablets und Social Media nicht so souverän bedienen können wie Ihre Teenager, um mit Ihren Kindern einen Dialog darüber zu führen, wann sie die Geräte nutzen und wofür. Sie können mit ihnen Regeln definieren, wann sinnvollerweise Schlafenszeit ist, dass die digitalen Geräte nachts im Schlafzimmer und am Esstisch nichts zu suchen haben. Sie können dafür sensibilisieren, dass online genauso anständig kommuniziert werden sollte wie offline, dass man Online-Informationen und Online-Bekanntschaften kritisch hinterfragen muss und zweimal überlegen soll, was man online veröffentlicht.» Verschiedene Studien haben übrigens gezeigt, dass sich jüngere Menschen schlechter von sozialem Druck abgrenzen können — gegenüber Gleichaltrigen, aber auch Vorgesetzten — und daher schnell verunsichert sind, wem sie digital wie rasch zurückschreiben sollten. Dadurch reagieren jüngere Menschen auf die Möglichkeiten der ständigen digitalen Erreichbarkeit auch tendenziell mit mehr Stress als ältere. Diese Erkenntnisse widersprechen jedoch dem gängigen Narrativ über den souveränen Umgang der jüngeren Generation mit digitalen Medien (Genner, 2017, p. 30ff).

Digital Skills

Eine Übersicht zu Digitalkompetenzen liefert das DQ Institute mit ihrem Modell, das neben technischen Skills wie Passwortsicherheit auch soziale Kompetenzen in der digitalen Interaktion umfasst sowie kritisches Denken im Zusammenhang mit möglichen Falschinformationen und dubiosen Online-Kontakten. Auch ein gesunder Umgang mit Bildschirmzeit und digitalem Multitasking ist Teil des Modells in Abbildung 5 (DQ Institute, 2017). Inzwischen hat das Institut weitere leicht abgewandelte Varianten des Modells veröffentlicht, arbeitet mit dem World Economic Forum sowie der OECD zusammen und verwendet den Begriff Digital Citizenship (the ability to use digital technology and media in safe, responsible and effective ways). Ziel des DQ Insitutes ist es, einen globalen Standard für digital literacy, digital skills, and digital readiness zu etablieren.

Abbildung 5: Digital Citizenship Framework (DQ Institute, 2017)

Das Berkman Klein Center der Harvard University hat die Digital Citizenship Resource Platform aufgebaut (Berkman Klein Center, 2020). Es handelt sich dabei um eine Online-Plattform, die zu unterschiedlichen Aspekten von Digital Citizenship Bildungsmaterialien und Tools aggregiert und sammelt. Die Teilbereiche der Plattform betreffen beispielsweise Wissen über künstliche Intelligenz, Zugang und Herstellung von digitalen Inhalten, Daten, Cybersicherheit, rechtliche Aspekte, Privatsphäre und Informationsqualität (siehe Abbildung 6). Da sich die Plattform an ein globales Bildungspublikum wendet, sind im globalen Süden Themen wie Digital Access vermutlich dringlicher als in westlichen Ländern, wo bereits AI Literacy (Artificial Intelligence Literacy) ein Thema ist. Das Digital-Citizenship-Rahmenmodell versteht Digital Literacy und Media Literacy als Teilbereiche.

Abbildung 6: Das Rahmenmodell der Digital Citizenship Resource Platform (Berkman Klein Center, 2020)

Verschiedene Initiativen fordern mehr Datenkompetenz, zum Beispiel data-literacy.ch in der Schweiz oder die Data Literacy Charta des Berliner Hochschulforum Digitalisierung. Inwiefern Data Literacy Teil von Digital Literacy ist — oder umgekehrt—ist Gegenstand anhaltender Debatten.

Für den Hochschulkontext lässt sich die Situation auf folgende These zuspitzen (Genner, 2020, p. 148ff): «Die unterschätzten digitalen Kompetenzen im Hochschulkontext sind im Grunde banal.» Häufig ist die Rede von Digital Skills, als wäre damit gemeint, selbstlernende Algorithmen mit ethischem Bewusstsein zu entwickeln, die Ärztinnen und Anwälte restlos ersetzen können. In der Regel scheitern jedoch Dozierende wie Studierende an digitalen Banalitäten. Viele graue Eminenzen an Hochschulen schlagen sich noch mit dem Adler-System auf der Tastatur durch, statt einen Kurs im Zehnfinger-System zu besuchen. Programmieren können ist gut und schön, aber in Wahrheit kämpfen wir mit der E-Mail-Flut und Backups, die wir hätten machen sollen, bevor unsere Dateien verloren gingen. Studierende können zwar Snapchat und Instagram, aber oft kein Word und Excel. Es folgt daher Tabelle 3 mit unterschätzten digitalen Kompetenzen an Hochschulen:

Tabelle 3: Unterschätzte digitale Kompetenzen im Hochschulkontext (Genner, 2020)

Eine sinnvolle Übersicht und Trainingsmöglichkeit «digitaler Basiskompetenzen» bietet die Pädagogische Hochschule Zürich (Abbildung 7). Die Basiskompetenzen basieren unter anderem auf der European Computer Driving License ECDL und berücksichtigen die Anwendungskompetenzen im Lehrplan 21 Medien und Informatik für die Volksschule.

Abbildung 7: Digitale Basiskompetenzen (PHZH Digital Learning, 2020)

Medienethik und Medienkompetenzförderung

Eine gute Übersicht über medienpädagogische Perspektiven im Fach Kommunikationswissenschaft bietet der Sammelband von Paus-Haase, Lampert und Süss (2002). Bereits vor 20 Jahren thematisierten dort Beiträge wie jener von Walter Schludermann die medienpädagogische Debatte, die durch «Neue Medien wie Internet, Computerspiele und Online-Dienste» ausgelöst wurde. Schludermann prägte den Begriff der «Medienmündigkeit», den er dem Begriff der Medienkompetenz entgegenhielt, um die «genuin pädagogische Zielsetzung» zu betonen (Schludermann, 2002). Rüdiger Funiok beleuchtete im gleichen Band die medienethische Perspektive von Medienkompetenz und nimmt dabei neben den «Mediennutzern» auch «Medienschaffende sowie Besitzer und Betreiber von Massenmedien» in die Pflicht: sie hätten eine zentrale Verantwortung, für das moralische Handeln der Medienschaffenden zu sorgen. Wichtig seien dafür beispielsweise Ombudsleute, Presserat und weitere Instrumente der Selbstkontrolle der Medien (Funiok, 2002).

Ethische Fragestellungen rund um Digitalisierung haben derzeit Hochkonjunktur: Die Zürcher Fachhochschule bietet einen Lehrgang in Digital Ethics an und Millionen von Menschen schauen sich die Netflix-Dokumentation «The Social Dilemma» an, die mit ethischen Argumenten mit der Digitalwirtschaft hart ins Gericht geht. Es geht in den Debatten um die Rolle digitaler Plattformen wie Facebook, Google und Twitter, die zumindest im Bereich des Geschäftsmodells klassischen Medien den Rang ablaufen. Es geht um ethische Fragen rund um künstliche Intelligenz, algorithmische Entscheidungssysteme und die Frage, welche Art von Digitalisierung gesellschaftlich wünschenswert ist. Medienpädagoge Peter Holzwarth schreibt mit Verweis auf Baacke (1997), die Medienpädagogik mit ihrer medienkritischen Denk- und Handlungstradition könne einen wertvollen Beitrag leisten, um digitale Wandlungsprozesse mit ethischer Reflexion zu begleiten (Holzwarth, 2020).

Im Jahr 2010 rief der Schweizer Bundesrat das Bundesprogramm «Jugend und Medien zur Förderung der Medienkompetenz» ins Leben. Es war unter anderem eine Antwort auf das parlamentarisch gewollte Verbot sog. «Killergames». Im Fokus des Programms war insbesondere auch die ausserschulische Förderung von Medienkompetenz: die schweizweite Vernetzung verschiedener Akteure (Medien- und Technologiebranche, Wissenschaft, Verbände und Vereine wie Pro Juventute etc.) und Elternbildung. Es entstanden unter anderem Fachtagungen zu Jugendmedienschutz und Broschüren für Eltern mit Information und Erziehungstipps rund um digitale Medien (Abbildung 8).

Abbildung 8: Cover Ratgeber Medienkompetenz und die enthaltene Definition (Genner et al., 2016)

Publizistische Medienkompetenz

Der problematische Begriff «Fake News» hat in der Trump-Ära einen beispiellosen Aufstieg erlebt. Die gezielte Verbreitung von irreführenden oder falschen Informationen sowie völlig frei erfundene Inhalte können als Fake News bezeichnet werden. Donald Trump verwendet Fake News jedoch anders: als politischen Kampfbegriff gegen etablierte Medienangebote, die unbequeme Wahrheiten aufdecken. Damit diskreditiert er strategisch seriösen Journalismus, der ihm und seinen Skandalen durch seine Wachhund-Funktion gefährlich wird. Auch auf die Problematik der Falschinformationen oder «alternativen Fakten» wird als Antwort und Lösung Medienkompetenz gefordert. Die US-amerikanische Internetforscherin Danah Boyd weist jedoch auf eine zentrale Problematik hin, was das Thema Medienkompetenz als Heilmittel betrifft. Boyd zeigt, dass bestimmte Bemühungen nach hinten losgehen können:

«Media literacy asks people to raise questions and be wary of information that they’re receiving. People are. Unfortunately, that’s exactly why we’re talking past one another.» (Boyd, 2017)

Es reiche nicht aus, kritisch zu denken und Falschinformationen mit einem Label zu versehen. Es brauche eine breitere kulturelle Debatte darüber, was wir als Wahrheit ansehen und wessen Informationen wir vertrauen, schreibt Boyd. Im deutschsprachigen Raum ist das Phänomen «Lügenpresse» zu nennen: ein überkritischer Umgang mit Journalismus, der auf ein erodiertes Vertrauen in klassische Medien hinweist.

Seit die digitale Transformation Fahrt aufgenommen hat, wird der Begriff Medienkompetenz zunehmend mit einem kompetenten Umgang mit digitalen Medien und Technologie assoziiert. Damit werden die publizistischen Aspekte in den Hintergrund gedrängt. Verschiedene Initiativen treten gegen diesen Trend an. Beispielsweise die Initiative «PUMAS» (Publizistische Medienkompetenz in Ausbildung und Schule), die 2018 vom Forschungszentrum Öffentlichkeit und Gesellschaft an der Universität Zürich (fög), der Schweizer Journalistenschule MAZ, dem Verband Schweizer Medien (VSM), dem Schweizer Radio und Fernsehen SRF sowie IQES/schulentwicklung.ch ins Leben gerufen wurde. Das Programm beinhaltet u. a. eine Medienwoche an Gymnasien. Der VSM hat zudem das digitale Lehrmittel «Was lese ich? Journalismus verstehen» erstellt «zur Förderung der Medienkompetenz» (Läderach/Surber, 2020).

Im Rahmen der journalistisch orientierten Medienkompetenz zeigt sich, dass Leseverständnis eine zentrale Grundlage ist, sowie auch eine sinnvolle Einschätzung von Bildern (Visual Literacy, siehe Doelker, 2013), damit Medieninhalte und allenfalls stereotype Darstellungen kritisch reflektiert werden können. Wichtig ist in demokratischen Gesellschaften auch ein Verständnis der Relevanz von Journalismus als vierte Gewalt im Staat. Und gleichzeitig ist es hilfreich zu verstehen, unter welchen prekären wirtschaftlichen Bedingungen Journalismus oft hergestellt werden muss — unter anderem weil das Geschäftsmodell durch Online-Werbung erodiert und enorme Summen statt in den Schweizer Journalismus zu Google und Facebook fliessen. Das bedeutet Kostendruck, Zeitdruck durch die technologische Beschleunigung sowie Druck, Quoten und Klickzahlen zu erreichen. Medien- und News-Kompetenz kann somit auch bedeuten, zu verstehen, dass diese Entwicklungen im Medienmarkt manchmal hinter effekthascherischen Schlagzeilen oder Clickbaiting stehen.

Einen hilfreichen Selbsttest für digitale News-Kompetenz hat die deutsche Stiftung Neue Verantwortung entwickelt: www.der-newstest.de

Digitaler News-Test (Stiftung Neue Verantwortung, 2021)

Genauere Definitionen sind notwendig

In der Schweiz wird Medien- und Kommunikationswissenschaft in der Regel als ein Fach verstanden. Währenddessen gibt es in Deutschland zwei Fächer mit deutlich unterschiedlichen Traditionen und Forschungsmethoden: Medienwissenschaft ist geistes- und kulturwissenschaftlich ausgerichtet und Kommunikationswissenschaft sozialwissenschaftlich. Informatik wiederum ist einer mathematisch-naturwissenschaftlichen Tradition verpflichtet. Die medienpädagogische Praxis in Schweizer Volks- und Berufsschulen, aber auch an pädagogischen Hochschulen, ist häufig weit entfernt von den universitären Fachdiskursen in Medien- und Kommunikationswissenschaft und näher an informatischer Grundbildung. Vordenker wie Dejan Mihajlović und Philippe Wampfler fordern im Bildungskontext eine «Kultur der Digitalität». Der Begriff «Digitalität» löst sich sinnvollerweise vom Technikfokus und betont soziale und kulturelle Praktiken. Der Begriff bedarf jedoch oft zu viel Erklärung und hat sich noch nicht breit durchgesetzt.

Die verwendeten Begriffe und die Zielorientierung der Auseinandersetzung mit «digitalen Medien» unterscheiden sich stark. Eine genauere Definition, was man im jeweiligen Kontext unter «Medien», «digitalen Medien» und somit auch «Medienkompetenz» und «Digitalisierung» versteht, ist dringend notwendig, um nicht aneinander vorbei zu kommunizieren.

Kompetenzen im digitalen Zeitalter

Im Folgenden richten wir den Fokus etwas weg von Medien- und Digitalkompetenzen im engeren Sinne hin zu Kompetenzen im digitalen Zeitalter. Die Begriffe Literacy, Skill, und Kompetenz unterscheiden sich in ihrer jeweiligen Bedeutung häufig nur geringfügig. Oft ist auch von Fähigkeiten, Fertigkeiten, Eigenschaften, Charakterstärken und Grundwerten die Rede. Auf begriffliche Differenzierung wird hier verzichtet.

Im Zuge der Debatten rund um die Digitalisierung der Arbeitswelt propagieren zahlreiche Publikationen den «Skill Shift»: veränderte Kompetenzanforderungen in der zunehmend digitalisierten Arbeitswelt. Braucht es in erster Linie mehr digitale Kompetenzen? Oder braucht es, ganz im Gegenteil, vor allem soziale und emotionale Kompetenzen im raschen Wandel? Welche zentralen Kompetenzen, Charakterstärken und Grundwerte ermöglichen es Heranwachsenden im 21. Jahrhundert, als Erwachsene einerseits Lebenszufriedenheit und gleichzeitig Arbeitsmarktfähigkeit zu erlangen?

Niemand weiss im Detail, welche Kompetenzen in Zukunft einen sicheren Arbeitsplatz garantieren, und schon gar nicht im Einzelfall. Junge Menschen bringen unterschiedliche Voraussetzungen, Bedürfnisse, Stärken, Talente und Persönlichkeiten mit. Alle über einen Kamm, beziehungsweise ein einziges Kompetenzmodell, scheren zu wollen, wäre daher wenig sinnvoll. Oft sind es gerade ganz unterschiedliche Kompetenzen und gegensätzliche Charakterstärken, die sich ergänzen, und damit ein Team, eine Familie und eine Gesellschaft erfolgreich machen.

Einige der einflussreichsten Einschätzungen, welche «Skills» künftig relevant sein werden, stammen von Robotik- und Digitalisierungsexperten. Sie betonen in erster Linie, dass künftige Arbeitskräfte das können müssen, was Maschinen nicht können und somit nicht wegdigitalisiert werden kann: Kreativität, Problemlösungsfähigkeiten und Sozialkompetenzen. Man fühlt sich an die Debatten um «Soft Skills» und «Schlüsselqualifikationen» erinnert, die lange vor dem digitalen Zeitalter begonnen haben. Gerade Technikexperten hatten grossen Einfluss auf neuere Prognosen und angsteinflössende Schlagzeilen, wonach rund die Hälfte der Arbeitsplätze wegen der Digitalisierung in Gefahr sei. Es ist allerdings stark umstritten, wie sich der Arbeitsmarkt aufgrund der digitalen Transformation verändert und noch verändern wird, da grosse branchen- und funktionsspezifische Unterschiede bestehen. Historisch versierte Arbeitsmarktspezialisten betonen, es handle sich keineswegs um die erste Automatisierungswelle in der Wirtschaftsgeschichte. Und bisher seien im Zuge von Mechanisierung und Automatisierung jeweils deutlich mehr Stellen geschaffen als abgebaut worden (Autor, 2015). Im vergangenen Jahrzehnt sind in der Schweiz deutlich mehr Vollzeitstellen entstanden. Dies wiederum ist jedoch auf verschiedene Faktoren zurückzuführen — beispielsweise eine konkurrenzfähige Volkswirtschaft, politische Stabilität und ein hervorragendes Bildungssystem, das mit der dualen Berufsbildung gerade im raschen technologischen Wandel klar im Vorteil ist. Dass allerdings die neu entstandenen Berufsprofile und Stellen mindestens teilweise neue Kompetenzanforderungen im technischen Bereich mit sich bringen, ist unstrittig.

Kompetenzen fürs 21. Jahrhundert

Um eine Gewichtung der im 21. Jahrhundert besonders gefragten Kompetenzen und Charakterstärken vorzunehmen, hat die Autorin im Rahmen eines Auftrags der Eidgenössischen Kommission für Kinder- und Jugendfragen (EKKJ) aus insgesamt 26 bestehenden Modellen und Auflistungen knapp 100 «Skills» analysiert und anschliessend aggregiert (Abbildung 9). Die Auswahl erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder Repräsentativität, sondern soll ermöglichen, häufig genannte und konsensfähige Kompetenzen und Eigenschaften zu gewichten. Die 26 Modelle und Auflistungen von «21st Century Skills», Kompetenzmodellen und Übersichten von Charakterstärken im digitalen Zeitalter weisen unterschiedliche Perspektiven auf. Die verwendeten Modelle stammen u. a. von Bildungsinstitutionen, aus der Berufsberatung, aus der Trendforschung, aus wirtschaftsnahen Beratungskontexten und von der World Health Organization. Die drei meistgenannten Kompetenzcluster sind:

1. Selbstkompetenzen wie Selbstreflexion, Selbststeuerung, Selbstorganisation, Selbstdisziplin, Selbstwirksamkeit

2. Soziale Kompetenzen wie Kommunikation, Kollaboration, Kooperation, Teamfähigkeit, Beziehungen pflegen, soziale Verantwortung, Empathie, Umgang mit Diversität, kulturelles Bewusstsein

3. Analytisches Denken sowie Problemlösung, kritisches Denken und Kreativität.

Abbildung 9: Meistgenannte Kompetenzen aus 26 Kompetenzmodellen und -listen (Genner, 2019)

Im Zusammenhang mit der digitalen Transformation wird oft betont, dass mobil-flexibles Arbeiten — ermöglicht durch Laptops und Smartphones — höhere Anforderungen an die Selbststeuerung stellt. Daher passt es, dass Selbstkompetenzen in ihren unterschiedlichen Ausprägungen in der Summe die häufigsten Kompetenzen sind. Gesellschaftliche Individualisierungstendenzen dürften hier mit den technologischen Entwicklungen einhergehen. Soziale Kompetenzen mit dem zentralen Begriff der Kommunikation sind das nächste grosse Kompetenzcluster, das auch mit Zuhören, Empathie, Umgang mit Diversität, kulturellem Bewusstsein und digitalen Kompetenzen zusammenhängt. Analytisches und kritisches Denken gehören eng zusammen und sind zusammen mit Kreativität zentrale Voraussetzungen für die oft geforderte Problemlösungsfähigkeit.

Über alle verwendeten Modelle und Auflistungen gesehen tauchen drei Kompetenzen auf, die als konsensfähigste gelten können: Kommunikation, Problemlösung, kritisches Denken. In wirtschafts- und techniknahen Publikationen, aber auch im bildungsnahen 4K-Modell (Kollaboration, Kommunikation, Kreativität und kritisches Denken) wird Kreativität in Abgrenzung zu maschinellen Fähigkeiten oft besonders hervorgehoben. Verschiedene Prognosen zur Zukunft der Arbeit gehen davon aus, dass Routinearbeiten, bei denen keine Kreativität oder Problemlösungsfähigkeit nötig ist, am schnellsten automatisiert werden. Es gibt jedoch zahlreiche Hinweise darauf, dass viele Routineaufgaben trotz theoretischer Automatisierbarkeit nicht automatisiert werden, weil es sich ökonomisch gesehen nicht lohnt (Aepli et al., 2017).

Wie lassen sich «digitale Kompetenzen» einordnen?

Versucht man die zahlreichen Kompetenzen, Fähigkeiten und Charakterstärken zu systematisieren, ergibt sich nochmals ein neues Bild, das mehr Ordnung, jedoch weniger Gewichtung verspricht. Die digitalen Kompetenzen ergänzen fachliche, soziale und persönliche Kompetenzen um spezifische Aspekte, die durch digitale Technologien dazukommen. Zahlreiche Faktoren verändern die Arbeits- und Lebenswelten der Zukunft in der Schweiz, z. B. die Individualisierung, der Wertewandel (u. a. in Bezug auf Arbeits-, Familien- und Beziehungsformen, Geschlechterrollen), die Säkularisierung, Migration, globale Mobilität. Die aktuelle Debatte um die Zukunft der Arbeitswelt ist jedoch stark dominiert von der digitalen Transformation. Daher liegt die Frage nach digitalen Kompetenzen besonders nahe. Sind digitale Kompetenzen eine eigene Kategorie? Viele Modelle erfassen diese separat, manchmal mit konkreten Teilaspekten des an sich vagen Begriffs der «digitalen Kompetenzen». Das systematische Überblicksmodell (Abbildung 10) im Auftrag der EKKJ fasst digitale Kompetenzen als Querschnittskompetenzen auf. Das oft beschworene «Computational Thinking» bedeutet, ein Problem methodisch so zurechtlegen zu können, dass es nach bestimmten formalen Vorgaben auch von einem Computer gelöst werden kann. Dieses Konzept wird im Überblicksmodell als Teil der fachlichen Kompetenzen aufgefasst (Analyse, Problemlösung und Technologie fachspezifisch einsetzen).

Abbildung 10: Kompetenzen und Grundwerte für das digitale Zeitalter (Genner, 2019)

Im Modell (Abbildung 10) bilden die Grundwerte das Fundament für Kompetenzen. Warum Grundwerte? Die meisten bisherigen Modelle integrieren Grundwerte oder Charakterstärken nicht oder nur bruchstückhaft. So ist auch nicht eindeutig, ob beispielsweise Integrität eine persönliche Kompetenz oder ein Grundwert ist. Das Beispiel der White Hat Hackers (ethische Hackers) im Gegensatz zu Black Hat Hackers (kriminelle Hackers) zeigt, dass beide Gruppen zwar über hohe digitale Kompetenzen verfügen, sich jedoch im Bereich der Integrität in ihrer Werthaltung unterscheiden. Wenn die Verankerung in Werthaltungen nicht gegeben ist, wirken sich (digitale) Kompetenzen in einem gesamtgesellschaftlichen Sinne nicht unbedingt positiv aus. Das «Kompetenzmodell» der Antike waren die vier Kardinaltugenden: Gerechtigkeit (iustitia), Mässigung (temperantia), Tapferkeit (fortitudo) und Weisheit (sapientia). Das Christentum fügte noch drei weitere Tugenden hinzu: Glaube, Liebe, Hoffnung. Und die Preussen legten besonderen Wert auf Pünktlichkeit, Ordnung und Fleiss. Tugenden sind ein Kind ihrer Zeit und sowohl weltanschaulich wie auch kulturell geprägt. Die «Grundwerte» im Modell orientieren sich an der Fachrichtung «Positive Psychologie» und ihren Charakterstärken (als Vater der Positiven Psychologie gilt Martin Seligman; Keller, 2017). Humor, Hoffnung, Integrität und Lebenssinn sind zentrale Elemente des Modells im Sinne seiner ganzheitlichen Ausrichtung auch ausserhalb der Arbeitswelt. Kompetenzen wie Prioritäten setzen und Ambiguitätstoleranz und lebenslange Lernfähigkeiten waren und sind in Zeiten raschen Wandels wichtig. Das Informations- und Datenvolumen sowie die Vielzahl neuer Quellen, die durch Digitalisierung erst möglich wurden, setzen Filterkompetenzen und kritisches Denken in besonderem Masse voraus.

Was ein Kompetenzmodell kaum abbilden kann, ist die Wichtigkeit, eine Balance zwischen Gegensätzen zu finden, z. B. zwischen Allgemeinbildung und Spezialisierung, Analyse und Intuition, zwischen Innovation und Bewährtem, Privat- und Berufsleben, zwischen Zuhören und Reden, zwischen Selbstachtung und Respekt für andere. Jede Stärke ist gleichzeitig und je nach Kontext oder Situation auch eine Schwäche (und umgekehrt). Ausserdem besteht die Gefahr, dass man mit einem Kompetenzmodell eine Art Gleichschaltung anvisiert, statt die Vorteile unterschiedlich zusammengesetzter Teams anzuerkennen. Nicht alle können und müssen im gleichen Ausmass über bestimmte Kompetenzen verfügen. Es ist auch eine zentrale Führungsaufgabe, unterschiedliche Kompetenzprofile möglichst passend zu kombinieren. Zeitgemässe Berufsberatung fokussiert in erster Linie auf eine Passung zwischen Person und Berufsfeld. Wenn Jugendliche und junge Erwachsene aus reiner Volkswirtschaftslogik heraus in Berufe und Tätigkeiten hinein beraten werden, die zwar gefragten Kompetenzprofilen in der IT-Branche, jedoch nicht ihren persönlichen Neigungen entsprechen, besteht die Gefahr, dass sie das Berufsfeld mangels Motivation bald wieder verlassen. Es ist eine Binsenwahrheit, dass lebenslanges Lernen in Zeiten schnellen Wandels von Vorteil ist, gerade weil wir vermutlich manche künftig notwendigen Kompetenzen noch gar nicht voraussehen können. Wer lernfreudig und veränderungsbereit ist, erfüllt das Gebot der Stunde: Agilität. Erkenntnisse aus der Forschung zu Charakterstärken zeigen, dass Freude am Lernen (love of learning) und Dankbarkeit (gratitude) jene zwei sind, die am besten voraussagen, ob jemand im Leben langfristig zufrieden ist (Kaufman, 2015).

Fazit

Es braucht nicht nur «Medienbildung und digitale Bildung». Es braucht eine klare Vorstellung davon, was Bildung im digitalen Zeitalter ist. Dazu gehört auch ganz besonders das kritische Denken. Denn dieses hilft nicht nur im Zusammenhang mit Desinformation, sondern auch beim Hinterfragen von wilden Prognosen, die von Medienschaffenden dankbar übernommen werden, weil die Skandalisierung maximal ist: «Millionen Arbeitsplätze verschwinden» (z. B. Metzler, 2016). CEOs von Technologiefirmen blicken in die Kristallkugel und sagen, dass zahllose Jobs künftig wegdigitalisiert werden und wir daher ohnehin nur noch lernen sollen, was Maschinen nicht können: soziale und emotionale Kompetenzen (z. B. Ma, 2018). Idealerweise verlassen wir uns auf Wirtschaftshistoriker und Arbeitsmarktexpertinnen, welche die ganze Geschichte der Automatisierung seit Beginn der Industrialisierung im Blick haben. Dabei wird klar: volkswirtschaftlich gesehen entstehen durch mehr Technologie unter dem Strich mehr Jobs, die Gewinne werden jedoch ungleicher verteilt (z. B. Autor, 2015). Dass uns die Arbeit wegen Digitaltechnologien als Gesamtgesellschaft zunehmend ausgeht, ist derzeit (entgegen vieler entsprechender Prognosen) nicht zu erwarten. Die Corona-Krise hat im Gegenteil sogar dazu geführt, dass stark digitalisierte Unternehmen deutlich bessere Überlebenschancen hatten als Firmen mit einem wenig digitalisierbaren Geschäftsmodell. Angebrachter scheint eine Debatte über wachsende gesellschaftliche und globale Ungleichheiten. Das bedeutet auch, dass wir jene, die tatsächlich — zum Beispiel technik- oder pandemiebedingt — aus dem Arbeitsmarkt herausfallen, sinnvoll auffangen.

Es braucht im digitalen Wandel sowohl ein Verständnis publizistischer Medienlogiken, digitaler Technologien und ihren Auswirkungen, aber insbesondere auch berufs- und branchenspezifisches Fachwissen, überfachliche Kompetenzen und Charakterstärken.

There is no digital education. Just education in the digital age. — Sarah Genner

Dr. Sarah Genner, Medienwissenschaftlerin, Expertin für Digitalisierung der Arbeitswelt, Dozentin an verschiedenen Hochschulen und Universitäten. Kontakt: sarah@genner.cc

Literaturangaben

Aepli Manuel; Angst Vanessa; Iten Rolf; Kaiser Hansruedi; Lüthi Isabelle; Schweri Jürg (2017): Die Entwicklung der Kompetenzanforderungen auf dem Arbeitsmarkt im Zuge der Digitalisierung. Bern: SECO Publikation, Arbeitsmarktpolitik Nr. 47.

Ammann Daniel (2009): Mit Medien unterwegs — Medienkompetenz als Unterrichtsziel. In: Dossier Medienkompetenz: Aktiver Unterricht rund um die Medien, hrsg. von der Stadt Zürich, S. 8–9. Zürich: Schulamt der Stadt Zürich. URL: https://phzh.ch/MAPortrait_Data/53505/34/dam_Dossier%20Medienkompetenz_2009-4.pdf

Ammann Matthias (2019): Digitale Bildung ist mehr als Medienkompetenz. Avenir Suisse. URL: https://www.avenir-suisse.ch/digitale-bildung-ist-mehr-als-medienkompetenz/

Autor David H. (2015): Why Are There Still So Many Jobs? The History and Future of Workplace Automation. Journal of Economic Perspectives, Summer 2015, 29(3), 3–30. URL: http://economics.mit.edu/files/11653

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Sarah Genner, Ph.D.
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Written by Sarah Genner, Ph.D.

Digital Transformation / Digital Media / Future of Work // Researcher / Lecturer / Speaker // GENNER.CC

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